dgd (tg) – Seit der Gesundheitsreform 2007 besteht die Pflichtmitgliedschaft in einer Krankenkasse. Doch nicht alle Versicherungspflichtigen mussten deshalb in eine der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherungen eintreten. Ausgenommen wurden ausdrücklich Personen, die über eine „anderweitige Absicherung“ (§5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V) verfügen. Bisher funktionierte das. Nun droht das Modell jedoch zu scheitern.
Andere Absicherungen, das sind Solidargemeinschaften, die sich auf Gegenseitigkeit selbst absichern. Im Vordergrund steht eine Eigenverantwortung für angemessene Behandlungen, die das Mitglied und der behandelnde Arzt für medizinisch geboten halten. Die Mitgliederzahlen einen vom Einkommen abhängigen Monatsbeitrag. Sie entscheiden selbst, welche Kosten eventueller Behandlung sie selbst tragen und welche Kosten von der Gemeinschaft übernommen werden sollten. Es besteht im Gegensatz zu GKV und PKV ausdrücklich aber kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen. Offenbar gab es in der 20-jährigen Praxis der Solidargemeinschaften allerdings stets einvernehmliche Lösungen. Abgesichert sind in den Solidargemeinschaften und Versorgungskassen insgesamt rund 7000 Personen, beispielsweise aus Polizei, Justiz, Pfarrer aus Baden-Württemberg und der Pfalz oder Postbeamte.
Angst um Absicherung
Die müssen nun möglicherweise um ihre Form der Absicherung bangen. Sollten Gerichte und Gesetzgeber das Modell der „anderweitigen Absicherung“ kippen oder wesentlich erschweren, dürfte ihnen nur der Weg in einen voraussichtlich wesentlich teureren Tarif einer gesetzlichen oder privaten Kasse bleiben. Mit dem GKV-Spitzenverband hatten die Solidargemeinschaften seinerzeit einen Kriterienkatalog erarbeitet, unter welchen Voraussetzungen von einer „anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall“ auszugehen sei. Allerdings legten die privaten Versicherungen dagegen ein Veto ein. Seitdem gibt es kein klares Ergebnis. Im Gegenteil: Als ein Mitglied der Barmer in die Solidargemeinschaft „Samarita“ wechseln wollte, wurde diesem der Wechsel verweigert, da keine entsprechende Absicherung des Versicherten gewährleistet sei. Seit 2011 führt die Samarita deshalb einen Musterprozess. Rechtsvertreter der Solidargemeinschaft ist dabei der ehemalige Innenminister Otto Schily.
Musterprozess vor dem BSG
Nachdem das Landessozialgericht Bayern zunächst der Auffassung der gesetzlichen Kasse folgte, es gebe keine anderweitige Absicherung, erst recht keine Versicherung, liegt der Fall nun in der Revision vor dem Bundessozialgericht (BSG). Von dort erwarten sich die Solidargemeinschaften ein Urteil, dass den bisher unklaren Rechtsbegriff der „anderweitigen Absicherung“ klärt. Davon abhängig wird wohl auch deren Existenz sein. Seit Jahren kämpft die Bundesarbeitsgemeinschaft der Solidargemeinschaften (BASSG) für eine rechtliche Klarstellung der Grundlagen ihres Geschäftsmodells. Wie grundlegend das ist, zeigt die Tatsache, dass selbst das Bundesfinanzministerium (BMF) und die untergeordnete Bundesaufsichtsanstalt für das Finanzdienstleistungswesen (BaFin) unterschiedliche Einschätzungen vertreten. Während die Finanzämter seit kurzem die Mitgliedsbeiträge von Samarita-Mitgliedern nicht mehr als steuerlich absetzbare Vorsorgeaufwendungen anerkennen (angeblich kein Leistungsanspruch der Mitglieder), sieht das BaFin das anders. Noch mit Schreiben vom 25. April 2016 stellte die Behörde dagegen fest, dass es bei der Samarita eindeutig einen Anspruch auf Leistungen und Kosten- übernahme gebe.
Unerlaubtes Versicherungsgeschäft
Kurioser Weise vermutet die Aufsicht aber gerade deswegen das Betreiben eines unerlaubten Versicherungsgeschäfts. Der Prüfauftrag an die BaFin erfolgte übrigens vom BMF. Denn nur, wenn eine Personenvereinigung, die ihren Mitgliedern keinen eindeutigen Rechtsanspruch auf Unterstützung gewähren, fielen unter die Ausnahme des §3 Abs. 1 S.1 Nr. 1 VAG und fielen damit nicht unter die Versicherungsaufsicht. Kurzum: Noch bevor das Bundessozialgericht die komplexen Sachverhalte klären kann, würde das Modell der Solidargemeinschaften, dass seinerzeit politisch gewollt war, im Zuständigkeits- und Interpretationswirrwarr der Behörden zerrieben. Dass möglicherweise die BaFin gar nicht zuständig ist, sondern die Entscheidungskompetenz über Institutionen der „anderweitigen Absicherung“ rein sozialrechtlich zu klären sind, könnte den Solidargemeinschaften unter Umständen nicht mehr helfen. Der zeitliche Druck, den BaFin und Finanzämter auf die Organisationen und Mitglieder ausüben, könnte schon vor dem klärenden Urtail des Bundessozialgerichts zu einem Zusammenbruch des Geschäftsmodells und damit zu gravierenden Finanznachteilen für die Mitglieder führen. Aufgrund der Versicherungspflicht müssten diese sich dann zwangsläufig anders und in der Regel teurer versichern.
Seit 2007 Ringen um klare Verhältnisse
Die Vorstände der BASSG wie Samarita-Vorstandssprecher Urban Vogel sind von den politisch Verantwortlichen enttäuscht. „Seit 2007 sind die Solidargemeinschaften mit dem Staat im Gespräch, um die Kriterien einer „anderweitigen Absicherung“ zu klären. Die Mitglieder einer Solidargemeinschaft sollen tatsächlich versorgt sein und nicht nach Kassenlage. Wir haben über Jahrzehnte diese verbindliche Absicherung im Krankheitsfall bewiesen“. Die nun erzeugte Situation sein existenzgefährdend. Man solle doch einfach abwarten, bis das BSG seine Entscheidung gefällt hat und nicht gut funktionierende Modelle willkürlich zerschlagen.